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Märchen lesen und erleben
Märchen lesen und erleben

Der Fliegende Holländer

Hoch zur See

Gegenüber der Tafelbai befand sich ein Ostindien-Fahrer, dessen mächtiger Rumpf sich hoch auf den Wellen still und unheimlich bewegte. Seit Tagen kämpfte er vergebens mit einer Flaute. Die kaum gefüllten Segel brachten ihn nur wenig voran und die heftige Strömung trieb ihn unaufhaltsam zurück. Hundert Augen hingen an der blauen Himmelsdecke, auf der Suche nach einem Wölkchen, von dem man die Rettung erhoffen könne. Aber der Himmel war klar und blau und spiegelte sich im glatten Meer wider.

Das Schiff war die Gelderland, der Stolz holländisch-ostindischen Handelsflotte. Unmut, der noch eine tiefere Ursache als den der Windstille hatte, beherrschte das Schiff. Der böse Geist, der den Frieden aus den Kajüten und von seinem Deck verjagt hatte, war der Kapitän des Schiffs, Mynheer Claas van Belem. Er war ein stolzer und herrschsüchtiger Mann mit einem versteinerten Herzen und einem schwarzen Gewissen.

Die Offiziere gingen leise auf und ab und warfen verstohlene Blicke zum Eingang der Kajüte. Sie fürchteten, dass ihr Oberhaupt erscheinen werde. Die Matrosen ließen sich gar nicht sehen, sondern hockten hinter Booten und Wasserfässern und wisperten sich scheu und verstohlen Bemerkungen und Befürchtungen zu.

Unter Matrosen

Ein alter, bärtiger Matrose, der bereits über zwanzig Jahre auf Ostindien gefahren war, lag auf dem Bugspriet im Netz des Stagsegels und blickte auf einen jüngeren Genossen, der dicht unter ihm auf der blinden Rah saß.

- "Wir gehen hier vielem Unglück aus dem Wege",

sprach der junge Seemann von unten herauf.

- "Der Dienst auf dem Bugspriet hat sein Gutes. Das auswehende Jacksegel sorgt dafür, dass wir vom Deck aus nicht gesehen werden können und das Rauschen des Bugs übertönt unsere Worte. Wir können ohne Sorge miteinander reden."
- "Bis uns einer über den Hals kommt, der stark genug ist, uns das Maul zu stopfen - uns hier vorne und denen dort auf dem Quarterdeck. Hier in der Tafelbai gibts nichts Gutes für einen Seemann zu hoffen. Derjenige, der sie mit leicht gerefften Segeln rasch durchschneidet, soll seinen Gott preisen! Wir liegen nun schon drei Tage hier, ohne von der Stelle zu kommen. Und wenn der erscheint, dessen Namen ein frommer Seemann nicht aussprechen soll, ohne ein Gebet zu sprechen."
- "Ich weiß schon",

unterbrach ihn der Junge.

- "Ihr meint Vanderdecken, den Fliegenden Holländer."
- "Still, du Narr!"
- "Nun? Ich werde doch wohl von ihm reden können? Ist sein Name so gefährlich, dass er Euch vergiftet, wenn Ihr ihn in den Mund nehmt? Alles Glück mit Hollands Flagge! Sie wird ebenso ungestört von unserer Gaffel wehen, wenn Vanderdecken sich tausend Meilen von uns entfernt befindet, als wenn er auf Kanonen-Schußweite in unser Kielwasser steuert - denn, mein guter Schiffsmaat, ich muss Euch sagen, dass ich von der Geschichte nicht sonderlich viel glaube. Ich halte sie mehr für altes Seemannsgarn."

Der bärtige Matrose wurde vor Zorn blutrot und richtete sich halb auf:

- "Die Pest soll dich holen, du Hund! Noch einmal so eine Lästerung und ich gebe dir einen Fußtritt, dass du rücklings in die See fällst!"

Der junge Seemann eilte flink außer Reichweiter und sprach:

- "Versucht doch, ob Ihr mich hier mit Eurem Fuß erreichen könnt!"

Er hielt einige Augenblicke in seiner gefährlichen Stellung aus, dann aber schwang er sich wieder zurück und sagte:

- "Ihr sollt zwei Tage hintereinander meine Ration Genever haben, wenn Ihr mir sagt, was Ihr von der Geschichte eigentlich wißt und ob etwas an dieser Geschichte mit dem Fliegenden Holländer ist. Denkt nur, zwei Rationen!"

Die Legende vom Fliegenden Holländer

Dieser Versuchung konnte der Ältere nicht widerstehen. Er überwand seine Furcht vor dem Geisterschiff und begann zu erzählen:

- "War der Kapitän eines großen und mächtigen Schiffes, dieser Vanderdecken - reiches Gut im unter Deck und böses Volk in seinen Kojen. Er selbst war der Schlimmstevon allen. Er wütete und tobte während einer ganzen Reise, egal ob es einen Grund gab oder nicht. Wenn er aber in seine Kajüte hinabstieg, schloss er sich ein. Kein Mensch durfte es wagen hereinzukommen, wenn ihm sein Leben lieb war.

In seiner Kajüte gingen das Grauen erst richtig los. Er lärmte, tobte und schrie vor sich hin. Doch so undeutlich, dass man nicht eine Silbe verstehen konnte. Oft erhielt er auch Antwort von einem, dessen Gegenwart niemand bemerkte. Wenn dieser sprach, war es ein Lärmen, als ob alle Geister der Hölle zugleich losgelassen würden. Manche wollen sogar gespürt haben, dass es nach höllischem Schwefel roch.
Gewiß ist, dass jedesmal ein heftiger Sturm folgte, der das Schiff in die größte Gefahr brachte. Ging nun Kapitän Vanderdecken nach einer solchen, vom Teufel unterstützten Reise vor Anker, dann begab er sich sogleich ans Land und vollbrachte dort alle Teufeleien, die er unterwegs gelernt hatte."
- "So trieb er es wohl nicht besonders in Zucht und Ehren",

fragte der junge Matrose,

- "und es ist am Ende wahr, dass er dem Weibsvolk absonderlich mitgespielt hat?"
- "Der Teufel lässt ihm seine Niederträchtigkeiten wohl bekommen",

brummte jener.

- "Er büßt sie jetzt ab und wird sie büßen müssen bis in alle Ewigkeit. Hoch auf den Dünen der Nordsee und fern von jedem bewohnten Ort besaß er ein großes Haus, in dem er sein Unwesen trieb. Innerhalb der wohlverschlossenen Pforte saß eine alte Hexe als Wächterin. Sie war ihm treu ergeben und mit boshaftem Rat schnell bei der Hand. Brachte ihm sein Gevatter Pferdefuß aus den Töchtern des Landes einen fetten Bissen zur Befriedigung seiner bösen Lust, nahm sich die Alte das arme Ding erst vor und richtete es gehörig ab, damit ihr Herr keinen Anlaß zur Klage haben sollte. Dafür soll der Teufel dieser Alten besonders geneigt gewesen sein und hat versprochen, ihr den ganzen reichen Nachlaß des Gebieters zu lassen, wenn er diesem eines Tages den Hals umdrehen werde."
- "Und hat die Hexe das Erbe bekommen?"
- "Nichts hat sie bekommen. Der Teufel sagte, sie solle erben, sobald er dem Vanderdecken den Hals umgedreht habe. Aber dieser lebt gewissermaßen heute noch. Das ist ja die Teufelei, dass der Teufel seine eigene Base bei dieser Gelegenheit betrogen hat.

Sie ging leer aus und er nutzt das Gold nun dazu, unschuldiges Blut zu fangen. Alle Goldstücke, welche die ostindische Compagnie uns zeigt, sind solche Teufels-Lockspeise. Und das ehrliche Seemannsblut geht in die Falle. Ich für mein Teil bin nun schon viermal hineingeplumst, denn eine Reise nach Batavia ist nichts anderes als ein Kreuzzug in die Hölle, von dem Ihr mit leeren Taschen heimkehrt. Aber der ärgste Streich, den Euch der Teufel spielt, ist der, dass bei der Abrechnung jedesmal Null mit Null aufgeht und Ihr von Glück sagen könnt, wenn Ihr einige Silbergulden kriegt.

Aber um wieder auf den Vanderdecken zu kommen: Es wurden in dem alten Hause üble Dinge vollbracht und die Mädels waren so gelehrig, dass sie das tollste Zeug trieben und alles taten, was man von ihnen verlangte.

Nun war er dem schnell überdrüssig und wenn er einer Dirne satt war, gab er ihr nicht etwa eine Handvoll Gold und schickte sie fort. Nein, er drehte ihr den Hals um, damit sie nicht ausplaudern konnte, wie es bei ihm zugehe. Brach dann die Nacht herein, so steckte er die Leiche mit Hilfe seiner Hexe in einen großen Sack, schleppte diesen an den Strand und warfe ihn in die See. Wenn nun der Sack hineinplumpste, und die See darüber zusammenschlug, lachten die beiden Bösewichter laut auf, und der Teufel antwortete ihnen aus der Ferne.

Einstmals aber nahm die Geschichte aber ein unerwartetes Ende. Der Teufel hatte wieder ein kostbares Stück für seinen Günstling ausgesucht, ein Mädchen wie Milch und Blut. Einfach das Schönste, was Vanderdecken je gesehen hatte.

Der Teufel hatte sie geraubt, als sie aus der heiligen Messe kam. Genau im Augenblick, als sie dem Diener das Meßbuch gab, denn vorher hatte er keine Macht über sie. Man sagt, die Jungfrau habe in jenem Augenblick an ein großes Kirmesfest gedacht, wo sie ihren Herzallerliebsten treffen wollte. Dabei sei ihr Gemüt in weltliche Dinge versenkt und die Messe vergessen worden. Dies benutzte der Teufel und führte sie ungesehen zum Hause Vanderdeckens.

Die alte Hexe gab sich mit dem schönen Kind die allergrößte Mühe, aber es wollte ihr nicht gelingen. Alles war vergebens und wenn die Alte ihr das sündige Leben in den schönsten Farben malte, fiel die Jungfrau auf die Knie und betete um Erlösung aus ihrem Elend.

Da erwachte der Zorn der Alten und brach ungezügelt über das arme Kind herein. Sie schlug es und eilte zu Vanderdecken, die widerspenstige Dirne bei ihm zu verklagen. Dieser geriet ebenfalls in Wut und rannte zumm Flur, wo sich das fromme Mädchen befand, um sie ebenfalls zu züchtigen. Als er sie jedoch erblickte und den Heiligenschein bemerkte, der von ihr ausging, bemächtigte sich seiner ein sanfteres Gefühl, und er suchte sie durch freundliche Worte zu betören.

Aber welche Künste er auch versuchte, der Erfolg blieb ihm verwehrt. Lieber wollte sie ihren Leib mit ihren Nägeln zerfleischen, als sich von seinen unheiligen Händen berühren zu lassen. Da wurde Vanderdecken noch dreimal zorniger und außer sich rief er:

Wenn du der Bitte eines Mannes widerstehst, der sich zum ersten Male zu solcher Feigheit erniedrigte, so wollen wir sehen, was Gewalt über dich vermag. An meine Seite Hexenweib! Wir wollen ihr zeigen, was dem geschieht, der sich dem Willen Vanderdeckens widersetzt!

Und kaum hatte er diese Worte gesprochen, als beide über das arme Geschöpf herfielen und sie jämmerlich schlugen.

Lange ertrug sie diese barbarische Behandlung nicht, sondern sank tot zu Boden. Darüber verzehrte sich Vanderdecken fast vor Zorn und ließ die Hexe seine ganze Wut spüren. Hiernach aber nähten sie auch dieses Mädgelein in einen Sack und trugen es zum Wasser."
- "Das ist eine grauenhafte Geschichte, Schiffsmaat",

sprach der junge Matrose, sich schüttelnd.

- "Wie ging es weiter?"

Der Bärtige fuhr fort:

- "Ich will es zu Ende bringen. Sie schleppten also den Leichnam zum Strand und warfen ihn in die See. Diesmal lachten sie nicht dabei. Doch umso lauter lachte der Teufel, denn er merkte wohl, dass er seinen Freund Vanderdecken jetzt beim Schöpf habe. Kaum aber war das Gelächter des Teufels verhallt, als man ein helles Klingen vernahm, und obgleich der Himmel von düsteren Wolken eingehüllt war, verbreitete sich ein so heller LIchtschein auf dem Meer, als ob es vom Mond beschienen würde. Und in diesem Augenblick tauchte auch die Leiche der frommen Jungfrau aus den Wellen auf. das bleiche Antlitz zu Vanderdecken gewandt, rief sie ihm unaufhörlich zu:

Folge mir! Folge mir!

Das brachte ihn so sehr außer sich, dass er sich in die See gestürzt hätte, wenn ihn die Hexe nicht mit Gewalt zurückgehalten hätte, wobei sie vom Teufel tüchtig unterstützt wurde, der ihm ein weit schlimmeres Ende zugedacht hatte.

Darum flüsterte er dem halb besinnungslosen Kapitän zu, dass die Jungfrau gar nicht tot sei und er sie für seine Lust retten könnte, wenn er nur wolle. Kaum hatte der Teufel das gesagt, als auch ein großes Schiff sichtbar wurde, das Vanderdecken bis dahin nicht gesehen hatte.

Als er genauer hinsah, entdeckte er, dass es sein eigenes war. Es trieb ihn an Bord und kaum war er über das Fallreep, so stiegen alle Segel am Mast wie von selbst in die Höhe. Er befahl, dem hellen Schein nachzusteuern, der um das Haupt des jungen Mädchens strahlte und den nur er allein erblicken konnte.

So trieb er durch Meere. Die Mannschaft war nicht wenig über eine so schnelle Abreise verwundert gewesen, und die Offiziere wagten es, bescheiden darum zu fragen. Sie erhielten jeodch keine andere Antwort als Verwünschungen und dass ein Mädchenhaupt vor ihnen auf der See herumtanze, welches von einem Heiligenschein umgeben war und das er haben müsse.

Wenn die Männer solche Äußerungen vernahmen, zuckten sie die Achseln und gingen auf die Seite, denn sie konnten nicht anderes glauben, als dass ihr Kapitän seinen Verstand verloren hatte, und dachten schon daran, ihn abzusetzen. So erreichten sie nun die Tafelbai, eben den Punkt, wo wir uns befinden und wo."

Die Furcht übermannte den Erzähler abermals. Er hielt inne und blickte sich nach allen Seiten um.

- "Die Sonne sinkt immer tiefer und bald wird es stockfinster sein. Das ist die Zeit, wo Vanderdecken sich sehen lässt. Ich will die Geschichte schnell beenden.

Er erreichte nun die Tafelbai und hier ging das Ungemach erst richtig los. Der Wind blies ihm heftig entgegen. Wochen und Monate vergingen, ohne dass er die Bai durchqueren konnte. Bald lag das Schiff über Steuerbords-, bald über Backbords-Halsen, aber immer trieb es während des einen Ganges ebensoviel rückwärts, wie es im vorigen gewonnen hatte, und alles war vergebens gewesen.

Da ergriff den Vanderdecken eine ungeheure Wut. Er lästerte den Namen Gottes und rief:

Nun will ich hier segeln bis an das Ende aller Tage! Soll ich mir selbst ein Schrecken und Grauen sein, will ich es auch für alle diejenigen werden, die mein Kielwasser kreuzen, so lange der Wind weht und der Hahn kräht!

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als der Hahn, der sich an Bord befand, lat anfing zu krähen. In selben Augenblick brach ein heftiger Sturm los und das Schiff jagte, fast auf die Seite geworfen, mit einer solchen Schnelligkeit dahin, wie es noch jetzt die Unglückskinder sehen, die das Schicksal haben, sein Kielwasser zu schneiden."

Der junge Seemann, der ein sehr aufmerksamer Zuhörer gewesen war, schüttelte sich vor Furcht, denn er hatte schon zuvor gehört, dass derjenige, der das Kielwasser des Fliegenden Holländers kreuzt, des Todes ist. Leise wiederholte er die Worte Vanderdeckens:

- "So lange der Wind weht und der Hahn kräht."

Die Pfeife des Bootsmanns unterbrach das Gespräch der beiden. Der Wind hatte etwas geräumt, und die Rahen wurden aufgebraßt.

Der Käptain der Gelderland

Kaum war die Ordnung wieder hergestellt, als Kapitän Claas van Belem das Deck der Gelderland betrat. Er grüßte seine Offiziere mit einem mürrischen Kopfnicken und begann das Deck auf- und abzuschreiten. Überall fand er etwas zu tadeln. Die Offiziere erhielten entweder offene Verweise oder ironische Lobsprüche. Die Matrosen wurden bis in die höchsten Toppe geschickt, um die Launen des Kapitäns auszuführen.

Die rascheste Befolgung der Befehle reichte allerdings nicht aus, den Laune des Gebieters zu zügeln. Sie wuchs an und wer in seine Nähe kam, war sich seines Zornes sicher. Auf der Bramsahling des Fockmastes trafen zwei junge Toppgasten zusammen, die hierher auf den Ausguck geschickt waren.

- "Hörst das Donnerwetter unter uns, Jantje?"
- "Es ist gerade so, als ob du auf einem Berg stehst. Da blitzt und donnert es auch unter dir."
- "Mag sein. Bin niemals auf einem Berg gewesen, außer auf dem Hamburger, da hat es aber nicht gedonnert und geblitzt, wohl aber gepaukt und trompetet. Was, zum Teufel, ist denn wieder los?"
- "Du weißt es nicht? Der Kapitän trägt in seiner Brust eine Art Ding, das man Gewissen nennt. So groß er auch ist, so ist das kleine Ding doch größer und will mit bedacht behandelt sein. Darum hat er es am liebsten, wenn es ruhig schläft. Nun aber wacht das unverschämte Ding mitunter auf und dann soll es ihn unbarmherzig penigen. Sage mir doch, was tat deine Mutter, als du ein kleines Kind warst, und sie dich in den Schlaf bringen wollte?"
- "Sie sang mir etwas vor."
- "So machts der da unten auch. Er singt seinen Leuten so viel vom Teufelholen und vom Donnerwetter vor, bis das Gewissen die Kneifzange ruhen lässt."
- "Was hat es denn mit dem bösen Gewissen auf sich? Ist es wahr, dass er eine hübsche Frau hatte?"
- "So ist es! Sie war so schön, dass man sie das Auge von Brabant nannte, denn sie war in Brabant geboren. Sie trug auch ihren Mann auf Händen, aber der hat sich nicht sonderlich um sie gekümmert und sie stets rauh und kurz behandelt. Darüber hat sich das arme Weib gegrämt und ist ihm aus dem Wege gegangen. Eines Tages, als der Kapitän unverhofft in den Garten tritt, sieht er seine Frau in einer Laube sitzen und ihr zur Seite einen Mann, der sein Angesicht an der Brust des schönen Weibchens verbirgt. Er soll sehr aufgebracht gewesen sein von Galle und Wein, sonst hätte er doch wohl erst ein wenig näher hingesehen, aber der Teufel hatte ihn schon in den Krallen, darum zog er den Degen und stach beide durch und durch."
- "Alle Wetter!"
- "Durch und durch, sage ich dir! Und die Folge davon war, dass er ein paar Tage darauf seine Frau samt ihrem Vater begraben musste."
- "Halt ein mit deiner Geschichte, mich packt der Schwindel!"
- "Sei kein Narr, Bursche! Es ist auch schon aus. Weißt du nun, warum ihn sein Gewissen wie das höllische Feuer brennt? Das ist kein Brand, den man so leicht löschen kann."
- "Haben sie ihn denn nicht für seine Untat gestraft?"
- "Hat sich was! Mynheer Claas van Belem ist ein reicher, angesehener Mann. Und reiche, angesehene Leute haben immer recht. Er wurde zwar in Gewahrsam gebracht, aber die Doktoren steckten sich dazwischen und sagten er leide an momentanem Wahnsinn und da könne ihm keiner etwas anhaben."
- "Ein Segel! Ein Segel!"

Legende oder Realität

rief der Ausguck vom großen Topp. Die beiden Vortopp-Männer fuhren bei diesem Ruf erschrocken von ihrer Sahling auf. Ihr Blick schweifte über den Horizont hin und gleich darauf schrien auch sie:

- "Ein Segel!"

Es dämmerte schon. Die Nebel brauten auf dem Meere und machten den Blick in die Ferne unsicher. Man sah etwas Weißes auf den Wellen zittern. Es konnte ein Segel sein, aber auch irgendeine Luftspiegelung. In wenigen Minuten war es ganz und gar verschwunden. Die Mannschaft war in Aufruhr. Der Ruf:

- "Ein Segel!"

war den Matrosen durch Mark und Bein gedrungen. Sie sahen schon Vanderdecken nahen und sie in den Abgrund ziehen. Überall steckte man die Köpfe zusammen:

- "Wenn er es ist, haben wir ihn in einer Stunde längsseits."
- "Und dann setzt er ein Boot aus."
- "Das tut er immer. Und gnade uns Gott, wenn er an Bord kommt. Dann bringt er Briefe, über deren Bestellung uns der Atem ausgehen kann."
- "Verdammt sei mein Eifer, an Bord dieses heillosen Schiffes zu gehen! Nun muss ich doch in den Rachen dieses Teufels fahren und kann nicht mit meiner Liebsten Hochzeit machen."

Auch auf dem Halbdeck herrschte einige Aufregung. Die Offiziere warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu. Der Kapitän trat zu ihnen:

- "Wollen die Offiziere den Matrosen nachäffen, die schon alle den Verstand verloren haben und nach einem Gespenst Ausschau halten, das nirgends als in ihrem Gehirn spukt?"
- "Doch, Kapitän!"

entgegnete der erste Offizier.

- "Der Mord hat den Fliegenden Holländer auf das flüchtige Element gebannt, und leicht wittert er Blut. Ich gehöre nicht zu den starken Geistern, die alles hinwegleugnen wollen, was über ihren Horizont geht. Nie würde ich das Dasein jenes unheilvollen Schiffes leugnen. Mag er kommen. Fest und ruhig will ich ihm entgegensehen, denn ich habe ein unbelastetes Gewissen."

Der Kapitän biß sich auf die Lippen und ging hastig auf und nieder. Die Offiziere erwarteten mit kalter Resignation den Zornesausbruch ihres Gebieters.

- "Ein Segel! Ein Segel!"

schrie es wieder, und derselbe gespenstische weiße Streifen flog in Luv hin.

- "Bootsmann!"

rief der Kapitän überlaut.

- "Achtet auf die Leute! Der erste, der wieder rief: Ein Segel! soll an den Mast gebunden und ausgepeitscht werden. Ruhe überall! Für jedes Wort, das aus dem ungewaschenen Maul eines Matrosen geht, gibts ein Dutzend Hiebe."

Grabesstille herrschte an Bord des Ostindien-Fahrers. Stumm und mit scheuen Blicken schlichen die Leute aneinander vorüber. Düstere Nebel schaukelten sich auf den Wellen, die Nacht brach unheilverkündend herein. Ein junger Offizier, ein Verwandter des Kapitäns, wagte es endlich, diesen anzureden. Er erhielt eine kurze, beleidigende Antwort. Jener erwiderte lebhaft. Der Wortwechsel wurde heftiger und außer sich schrie der Kapitän:

- "Schlagt den Rebellen in Ketten."

Der junge Offizier trat ganz nahe an ihn heran:

- "Mich wunderts, dass Ihr das Richteramt nicht stehenden Fußes ausübt und mich dahin sendet, wohin Ihr meinen Oheim und Euer Weib gesendet habt, sollte es auch abermals in momentanem Wahnsinn geschehen."

Da wich alles Blut aus dem Gesicht des Kapitäns, seine Hände ballten sich krampfhaft und der Schaum trat ihm vor den Mund. Er griff nach dem Dolch, ein Stoß, und der junge Mann lag röchelnd am Boden. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr den Offizieren, die ihrem sterbenden Kameraden zu Hilfe eilten.

- "Jesus Maria und Joseph!"

Die Legende lebt!

schrie ein junger Portugiese, der hoch auf dem Spill stand, und deutete mit der Hand vor sich hin. Durch die Finsternis wurde die unförmige Gestalt eines riesenhaften Schiffes sichtbar und schwankte geräuschlos vor dem Bug der Gelderland vorüber.

Es war der Fliegende Holländer! Mit stillem Grauen starrten die Matrosen die unheilvolle Erscheinung an, die sich langsam fortbewegte und endlich im Nebel verschwand.

Der Kapitän zog sich in seine Kajüte zurück. Die Offiziere standen auf einem Haufen zusammengedrängt und berieten miteinander, während einige unerschrockene Toppmänner die Leiche des jungen Mannes unter Deck trugen.

Die Leute rannten in großer Unordnung durcheinander. Keine Ermahnung, kein Befehl vermochte sie zur Ruhe zu verweisen. Sie verweigerten den Gehorsam und schickten sich an, Gewalt mit Gewalt zu beantworten.

So ging die Nacht vorüber und der anbrechende Morgen fand den Aufruhr im vollen Gange. Aber als der erste Strahl des Tages über das Deck hinflog, wich der Zorn von den erbleichenden Gesichtern, denn das gespenstische Schiff des entsetzlichen Vanderdecken dehnte sich vor ihnen auf den Wogen und seine Schaluppe stieß von Bord. Mit Entsetzen sahen Offiziere und Matrosen diesem Schauspiel regungslos zu. Nur der Kapitän blickte trotzig um sich. Auf seinem Gesicht sah man keine Furcht und halb drohend halb spottend rief er über das Deck hin:

- "Haltet ein starkes Tauende bereit, um es diesem Burschen zuzuwerfen. Wir wollen hören, was er uns zu sagen hat."

Vanderdecken sendet Grüße

Dieser Befehl ward nicht befolgt, denn alle starrten nach der Schaluppe, die ohne Ruder über die Wellen glitt und gerade auf die Gelderland zuhielt. Nur ein Mann befand sich darin und starrte das Schiff unverwandten Blickes an.

Zum ersten Mal beschlich jetzt ein Gefühl der Furcht das Herz des Kapitäns und er unterließ es, seinem Befehl den gehörigen Nachdruck zu geben. Auch sein Auge haftete auf der Schaluppe, die jetzt den Bug streifte und darauf am Fallreep des Steuerbords wie gefesselt lag. Der Seemann, der sich darin befand, stieg das Deck hinan, ging gerade auf den Kapitän zu, der sich an die Spitze seiner Offiziere gestellt hatte und fragte mit einer hohlen Grabesstimme:

- "Wer seid Ihr und woher kommt Ihr?"
- "Wir kommen von Amsterdam. Dies ist das Schiff Gelderland und ich bin Claas van Belem, ihr Kaptain."
- "Claas van Belem, Ihr wollt so gut sein, diese Briefe, die Euch mein Kapitän, Mynheer Vanderdecken, sendet, mit nach Holland zu nehmen und sie gewissenhaft zu besorgen."
- "Was fällt Euch ein? Wann soll ich diese Briefe besorgen? Jetzt segle ich nach Batavia und erst in sieben Jahren kehre ich nach Amsterdam zurück."
- "Eine kurze Frist! Ihr kehrt immer noch früher zurück als wir, denn wir kreuzen hier in der Tafelbai ohne Ende. Nehmt die Briefe!"

Der Ton des gespenstischen Seemannes war dringend, Mitleid erregend und furchtbar zugleich. Der Blick, den er auf den Kapitän warf, verwirrte diesen so sehr, dass er die Hand ausstreckte und zum großen Entsetzen aller die Briefe annahm. In diesem Augenblick hob sich eine hohe Gestalt über die Galerie des Gespensterschiffes empor. Sie breitete die Arme aus, wie zum Gruße, dann brachte sie das Sprachrohr an den Mund und rief über das Meer hin:

- "Grüßt die Heimat!"

Und gleich darauf war sie wieder verschwunden.

- "Das ist Vanderdecken!"

sprach der gespenstische Seemann.

- "Er sendet nur dem einen Gruß, den er dieser Ehre besonders wert hält."

Und als er das gesagt hatte, war er vom Deck und seine Schaluppe vom Fallreep verschwunden, das Gespensterschiff aber schien vor den Augen der ganzen Mannschaft in den Abgrund zu sinken. Der Kapitän hielt noch immer die Briefe vor sich hin und las:

- "An den ehrenwerten Kaufmann, Mynheer Berend van den Stagen, wohnhaft Stubenhuik."

Der erste Offizier unterbrach ihn:

- "Das Haus Berend van Stagen ist bereits verschollen und Stubenhuik seit länger als hundert Jahren niedergerissen, um an dieser Stelle eine neue Kirche zu bauen. Ihr seht, der Fliegende Holländer ist nun doch bei uns an Bord gewesen und wir sind verloren."

Der ausbrechende Sturm verschlang seine Worte und brachte die Tafelbai in solche Aufregung, dass das Schiff binnen wenigen Minuten m die äußerste Gefahr geriet. Schwere Gewitterwolken senkten sich immer tiefer herab und umleuchteten es mit ihren Blitzen. Der Notschrei der Mannschaft verhallte ungehört im Brausen des Sturmes Das Schiff Gelderland ist nie in Batavia angekommen.